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CORE Attorneys ist eine Schweizer Boutique-Anwaltskanzlei mit den Schwerpunkten Wettbewerbs- und Kartellrecht, Regulierung und Vertriebsrecht.
Der Schweizer Bundesrat eröffnete am 18. Mai 2022 die Vernehmlassung für ein Schweizer Investitionsprüfgesetz. Vorgeschlagen wird die Einführung einer Melde- und Genehmigungspflicht für gewisse Übernahmen inländischer Unternehmen. Im Fokus stehen dabei staatliche und staatsnahe ausländische Investoren, doch können in bestimmten besonders sicherheitsrelevanten Sektoren auch private Investoren von der Melde- und Genehmigungspflicht erfasst sein. Dieser Beitrag verschafft einen Überblick über die wichtigsten Bestimmungen des Vorentwurfs des Investitionsprüfgesetzes, gefolgt von einer kurzen Würdigung und einem Ausblick. Die Vernehmlassung endet am 9. September 2022.
Ausgangslage
Die Schweiz gehört zu den global grössten Empfängern von Direktinvestitionen gemessen am Kapitalbestand (über CHF 1’200 Mrd. im Jahr 2020 gemäss der Schweizerischen Nationalbank). Dies ist insbesondere auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz zurückzuführen, aber auch auf eine offene Politik gegenüber ausländischen Investitionen. Eine Investitionskontrolle, das heisst ein Verfahren zur systematischen Überprüfung ausländischer Investitionsvorhaben in inländische Unternehmen, wie er mittlerweile in zahlreichen grösseren Volkswirtschaften eingeführt wurde, kennt die Schweiz bislang nicht.
Im Februar 2019 sprach der Bundesrat sich im Bericht Grenzüberschreitende Investitionen und Investitionskontrollen gegen die Einführung einer Investitionskontrolle aus, da deren Kosten-Nutzen-Verhältnis insgesamt ungünstig sei und die bestehenden gesetzlichen Grundlagen allfällige Risiken bereits adressieren würden. Mit Annahme der Motion Rieder «Schutz der Schweizer Wirtschaft durch Investitionskontrollen» (18.3021) wurde der Bundesrat vom Parlament im März 2020 gleichwohl damit beauftragt, die gesetzlichen Grundlagen für eine Schweizer Investitionskontrolle zu entwerfen. Am 25. August 2021 präsentierte der Bundesrat in einer Medienmitteilung bereits die Eckwerte für eine entsprechende Vorlage (vgl. unseren Beitrag hierzu).
Nun eröffnete er am 18. Mai 2022 die Vernehmlassung über den Vorentwurf des Investitionsprüfgesetzes (Vorentwurf oder VE-IPG), den er zusammen mit einem Erläuternden Bericht und einer Regulierungsfolgenabschätzung publizierte. Der Bundesrat spricht sich aufgrund der unveränderten Ausgangslage noch immer gegen die Einführung einer Investitionsprüfung aus.
Die wichtigsten Bestimmungen des Vorentwurfs im Überblick
Einführung einer Melde- und Genehmigungspflicht
Zweck des Investitionsprüfgesetzes ist es, Übernahmen inländischer Unternehmen durch ausländische Investoren zu verhindern, welche die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Schweiz gefährden oder bedrohen (Art. 1 VE-IPG). Hierzu sieht der Vorentwurf für gewisse Übernahmen durch ausländische Investoren eine Melde- und Genehmigungspflicht vor deren Vollzug vor.
Meldeschwellen (Aufgreifkriterien)
Die Melde- und Genehmigungspflicht betrifft – abgesehen von Übernahmen innerhalb der Bagatellschwelle gemäss Art. 4 Abs. 2 VE-IPG – sektorübergreifend sämtliche Übernahmen inländischer Unternehmen durch staatliche oder staatsnahe ausländische Investoren, d.h. Investoren, die unmittelbar oder mittelbar von einer staatlichen Stelle kontrolliertwerden (Art. 4 Abs. 1 lit. a VE-IPG). Diese stehen im Fokus der geplanten Investitionskontrolle.
Darüber hinaus unterstehen in besonders sicherheitsrelevanten Sektoren auch Übernahmen durch private ausländische Investoren der Melde- und Genehmigungspflicht, teilweise abhängig davon, ob kumulativ die Meldeschwelle von CHF 100 Mio. Jahresumsatz (oder Bruttoerträge bei Banken) erreicht wird (Art. 4 Abs. 1 lit. b und c VE-IPG). Dies betrifft insbesondere:
Nicht genehmigungspflichtig sind Übernahmen von inländischen Unternehmen, die in den vergangenen zwei Geschäftsjahren durchschnittlich weniger als 50 Vollzeitstellen umfasst und einen weltweiten Jahresumsatz von weniger als CHF 10 Mio. erwirtschaftet haben (Bagatellschwelle gemäss Art. 4 Abs. 2 VE-IPG; für eine schematische Übersicht der Aufgreifschwellen vgl. Tabelle 1 unten).
Staatlicher oder staatsnaher | Privater ausländischer |
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Bagatellschwelle: Keine Genehmigungspflicht, wenn das inländische Unternehmen <50 Vollzeitstellen und weltweit einen Jahresumsatz <CHF 10 Mio. hat (Art. 4 Abs. 2 VE-IPG) |
Tabelle 1: Schematische Übersicht der Aufgreifschwellen.
Als «Übernahme« wird jeder Vorgang definiert, durch den ein oder mehrere Investoren unmittelbar oder mittelbar die Kontrolle über ein Unternehmen oder Teile davon erlangen, insbesondere durch Fusion, Erwerb einer Beteiligung oder bedeutender Aktiven oder durch Abschluss eines Vertrages (Art. 3 lit. a VE-IPG).
Unter dem Begriff «Unternehmen« wird jeder Nachfrager oder Anbieter von Gütern und Dienstleistungen im Wirtschaftsprozess verstanden, unabhängig von der Rechts- oder Organisationsform (Art. 3 lit. b VE-IPG).
Für den Begriff «inländisches Unternehmen« werden im Vorentwurf zwei alternative Legaldefinitionen vorgeschlagen (Art. 3 lit. c VE-IPG):
Als «ausländischer Investor« gilt eine Person, die beabsichtigt, ein inländisches Unternehmen zu übernehmen, und (Art. 3 lit. d VE-IPG):
Nicht als ausländische Investoren gelten natürliche Personen aus EU/EFTA-Mitgliedstaaten, die gestützt auf das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen) oder das Übereinkommen vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) (EFTA-Konvention) beabsichtigen, ein inländisches Unternehmen zu übernehmen, um in der Schweiz eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben zu können.
Genehmigungskriterien (Eingreifkriterien)
Gemäss Vorentwurf genehmigt das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) als zuständige Behörde Übernahmen, wenn kein Grund zur Annahme besteht, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit durch die Übernahme gefährdet oder bedroht ist (Art. 5 Abs. 1 VE-IPG).
Das Risiko aus einer Übernahme für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit wird dabei als Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit und potentiellem Schadensausmass verstanden. Geht eine dieser Grössen gegen Null, tendiert gemäss dem Erläuternden Bericht auch das Risiko aus einer Übernahme gegen Null. Nach dem Vorentwurf hat das SECO bei der Risikoabschätzung insbesondere zu berücksichtigen, ob (Art. 5 Abs. 2 VE-IPG):
Bei diesen Kriterien handelt es sich nicht um eine abschliessende Auflistung. Zudem soll die Kooperationsbereitschaft des ausländischen Investors gegenüber den Behörden beim Entscheid berücksichtigt werden können (Art. 5 Abs. 3 VE-IPG).
Statt eine Übernahme zu untersagen, kann sie an zweckmässige Arten von Auflagen oder Bedingungen geknüpft werden, sofern dadurch die Gefährdung oder Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit beseitigt wird (Art. 5 Abs. 4 VE-IPG).
Zweistufiges Genehmigungsverfahren
Der ausländische Investor muss vor dem Vollzug der Übernahme beim SECO ein Gesuch einreichen (Art. 6 Abs. 1 VE-IPG). Danach folgt ein zweistufiges Genehmigungsverfahren:
Der Bundesrat entscheidet auf Antrag des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) über die Genehmigung, falls:
Der Entscheid des Bundesrates soll grundsätzlich innerhalb der dreimonatigen Frist gemäss Art. 8 Abs. 1 VE-IPG erfolgen. Es ist allerdings möglich, dass am Ende dieser Frist keine Bundessratssitzung stattfindet (z.B. im Sommer oder Ende Dezember/Anfang Januar). Deshalb sieht Art. 8 Abs. 3 VE-IPG vor, dass der Bundesrat spätestens anlässlich der ersten nach Ablauf der dreimonatigen Frist stattfindenden ordentlichen Bundesratssitzung über eine Übernahme zu entscheiden hat. Dies kann für die Parteien der Transaktion zu weiteren Verzögerungen führen.
Verwaltungsmassnahmen und -sanktionen
Wird eine genehmigungspflichtige Übernahme ohne Genehmigung vollzogen, so kann der Bundesrat die erforderlichen Massnahmen zur Wiederherstellung des ordnungsgemässen Zustandes (insbesondere Desinvestitionen als ultima ratio) anordnen (Art. 17 VE-IPG).
Ausserdem soll mit einer Geldbusse von bis zu 10% des Transaktionswertes belastet werden, wer (Art. 18 Abs. 1 VE-IPG):
Sanktionsadressat ist der jeweilige ausländische Investor.
Würdigung und Ausblick
Ob eine Schweizer Investitionskontrolle eingeführt werden soll, ist eine politische Frage. Aus unserer Sicht ist aber zu begrüssen, dass der Vorentwurf sich auf den Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit beschränkt und mit der Investitionsprüfung nicht noch weitere Regelungsziele wie z.B. den Schutz bestimmter Branchen oder Technologien oder die Verhinderung des Verlusts von Arbeitsplätzen oder Know-how verfolgt werden sollen. Auch im Übrigen ist dem Bundesrat mit dem Vorentwurf eine im internationalen Vergleich schlanke und auf das Notwendige beschränkte Regelungsvorlage gelungen. Die Genehmigungskriterien für meldepflichtige Transaktionen erscheinen gleichwohl vage und unklar. Im Dienste der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit sollten diese – soweit dies möglich ist, ohne den Ermessensspielraum der Behörden übermässig einzuengen – noch griffiger formuliert werden. Darüber hinaus ist es dann an der Praxis des SECO, diesbezüglich rasch Klarheit zu schaffen.
Sollte das Investitionsprüfgesetz wie vorgesehen eingeführt werden, käme damit bei gewissen Transaktionen nebst der zusammenschlusskontrollrechtlichen Melde- und Genehmigungspflicht eine weitere Melde- und Genehmigungspflicht hinzu. Bei dieser gelten andere Meldeschwellen und Genehmigungskriterien. Für betroffene Unternehmen (insbesondere die Käufer, aber auch die Verkäufer und Zielunternehmen) bedeutet dies einen erheblichen zusätzlichen Aufwand und je nachdem eine zusätzliche Verzögerung der Transaktion.
Die Vernehmlassungsfrist endet am 9. September 2022. Anschliessend wird das Schweizer Parlament über das Gesetz bzw. die Einführung einer Schweizer Investitionskontrolle beraten.
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